radio arthur winter 2012
joint dispute

Die vierte Ausgabe von «spring, summer, fall, winter» von radio arthur stellt unter dem Titel «joint dispute» die Frage nach der Aktualität künstlerischer Programme. Welche Programme verfolgen Künstler/innen? Was sind Themen, die sie hervorheben und wie werden sie umgesetzt? radio arthur öffnet in «joint dispute» ein Feld, in dem eine künstlerische Aneignung diskursiver Formate und konzeptuelle Strategien, den eigenen Beitrag als Gefäss anderen Künstler/innen zur Verfügung zu stellen, ebenso als programmatische Setzung zu tragen kommen, wie die poetische Abstraktion eines spezifischen Geräusches.

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1 Second Hand Smoke – Marlie Mul

Beim von der Künstlerin Marlie Mul gelesenen Text «Second Hand Smoke» handelt es sich um eine Einführung zu einer gleichnamigen Publikation, die von Mul als Bestandteil ihrer Ausstellungen «No Oduur (Your Smoke Draws Me In)» und «Stop Being So Attractive I Can’t Get Anything Done» 2012 in London, bzw. Berlin konzipiert wurde. Der Text bietet einen kurzen Abriss einer Kulturgeschichte des Rauchens. Am Beispiel des Rauchens verhandelt die Künstlerin die immerwährende Kontroverse zwischen der individuellen Entscheidung und gesellschaftlichen Konventionen. Dabei interessiert sie insbesondere auch der Aspekt der Verhandlung räumlicher Konzeptionen: «Second Hand Smoke is the conception of connected rather than disconnected bodies: it is the active smoker that creates the passive smoker».

Marlie Mul (*1980) lebt und arbeitet als Künstlerin in Berlin und London wo sie an der Architectural Association Architekturgeschichte und -theorie sowie Kunst und Medien unterrichtet. Sie initiierte gemeinsam mit Yngve Holen die Web-Plattform www.xym.no, die PDF-Publikationen von Künstler/innen zum Download anbietet. Muls Arbeiten waren 2012 in diversen Ausstellungen zu sehen, unter anderem im Kunstraum OSLO10 in Basel.

2 She was smart, good looking and single – Egija Inzule & Tobias Kaspar

Neurasthenic, kleptomanic, man-chasing proto-punk she exploded onto the darkest corners of the world’s mega cities.Eine Zusammenstellung bestehender sowie für radio arthur neu entstandener Audioarbeiten über White Trash, Treue, interne Referenzen, Vorlieben, Drive (2011) Soundtrack und «Normal Days in the City» von Morag Keil, Edgars Gluhovs, Tristan Bera, Karl Holmqvist, Hans Christian Lotz, Mikael D. Brkic und Dromedar mit Einspielungen aus dem Film E-Mail Für Dich (1998) und einem anderen Stück über Individualismus, Distribution und Gründung von einem neuen Plattenlabel.

Morag Keil (*1985) ist Künstlerin und lebt zurzeit in London. Aktuell sind ihre Arbeiten in der Ausstellung Palais de Token bei Neue Alte Brücke in Frankfurt zu sehen.

Edgars Gluhovs (*1980) ist Künstler und arbeitet in einer Bank in Zürich. Er lebt in Frankfurt. Am 15. März, 2013 wird seine Einzelausstellung Downfall of Decadence (gewidmet an Whit Stillman) im Ausstellungsraum KIM? in Riga eröffnen.

Tristan Bera (*1984) ist Künstler und lebt in Paris. Zurzeit arbeitet er an seinem neuen Film welcher mit Dornröschen zu tun hat.

Karl Holmqvist (*1964) ist Künstler und lebt zurzeit in Berlin. In 2012 war er an der LP Crystal Flowers beteiligt, welche von Nick Mauss zusammengestellt wurde und erarbeitete dafür die vokale Interpretation vom Gedicht «You Beat Me» geschrieben von der Künstlerin Florine Stettheimer.

Hans Christian Lotz lebt in Berlin und Schwarzwald. Er ist Mitbegründer vom Ausstellungsraum Sotoso in Brussel.

Dromedar ist eine Band gegründet vom Künstler Mikael D. Brkic (*1987) in Oslo in 2011.

Egija Inzule (*1986) ist Kuratorin. Zurzeit studiert sie and der Universität St. Gallen, arbeitet an dem Veranstaltungsprogramm des Ausstellungsraums castillo/corrales und übersetzt Texte über Kunst und Massenkultur ins Lettische.

Tobias Kaspar (*1984) ist Künstler und Mitherausgeber des Magazins PROVENCE. Aktuell sind seine Arbeiten in der Ausstellung Frozen Lakes in Artists Space in New York zu sehen.

3 Alternative Fiktion. Zur Politik künstlerischer Dokumentation – Ines Kleesattel

Ausgehend von einem regelrechten Hype um «politische Kunst» stellt Ines Kleesattels Radio-Essay die Frage, in welcher Form künstlerische Mehrdeutigkeit und politische Inhaltlichkeit eine produktive Beziehung miteinander eingehen können. Mit Vincent Meessens Video «Vita Nova» (2009) wird ein Beispiel künstlerischer Dokumentation präsentiert, das als alternative Geschichtsschreibung Fakt und Fiktion auf komplexe Weise ins Verhältnis setzt – und darin ästhetisch überzeugender und politisch wirksamer scheint als die vereindeutigenden Dokumentarismen und entlarvenden «Bildkritiken», die häufig unter dem Label «politische Kunst» lanciert werden. In Jacques Rancières Überlegungen zu politisch-künstlerischer Fiktion findet Kleesattel eine politische Funktion der Kunst vorgestellt, die künstlerische Autonomie bewahrt (gegenüber verkürzenden Zweck-Mittel-Relationen und falschen Eindeutigkeiten) und zugleich kritisch-emanzipatorische Auswirkungen im Realen haben kann.

Ines Kleesattel (*1981) ist Kunsttheoretikerin und Kritikerin. Derzeit beschäftigt sie sich im Rahmen einer Dissertation an der Akademie der bildenden Künste Wien mit dem Verhältnis von Ambiguität der Kunst, emanzipatorischer Politik und Kunstkritik. 2011 erhielt sie den Junior Art Critics Award. Seit 2012 ist sie Promotionsstipendiatin der Gerda Henkel Stiftung. Als freie Kritikerin schreibt sie unter anderem regelmässig für «springerin» und «Texte zur Kunst».

4 How Wheeling Feels When The Ground Walks Away – James Hoff

Für das Stück «How Wheeling Feels When The Ground Walks Away» arrangierte James Hoff Originalaufnahmen von verschiedenartig motivierten gewalttätigen Ausschreitungen in einem Mehrkanalmix. Bezug genommen wird dabei vor allem auf zwei konkrete historische Geschehnisse: zum einen auf ein in Krawall ausgeartetes Konzert der Hardrock-Band Black Sabbath 1980 in Milwaukee, zum anderen auf die Strategie des spanischen Diktators Franco, für seine Schlägertrupps Hooligans in Fussballstadien zu rekrutieren. Hoff ist dabei am Moment der Überlagerung von politischer Agitation mit kulturellem Fanatismus interessiert. «How Wheeling Feels When The Ground Walks Away» wurde 2009 als Teil der Veranstaltungsreihe «Riot Radio Ballad» in New York uraufgeführt. Eine limitierte Vinylauflage der Aufnahme wurde, gemastert von Rashad Becker, 2011 auf dem Berliner Label PAN veröffentlicht.

James Hoff (*1975) lebt als Künstler, Publizist und Kurator in New York. Seit 2003 arbeitet er im Bereich Sound und Performance. 2006 gründete er zudem mit Miriam Katzeff den Verlag Primary Information, der sich sich zum Ziel gesetzt hat, zum einen verlorene Arbeiten aus den 1960er Jahren wiederherauszugeben und zum anderen zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten im Magazin- und Buchformat Raum zu bieten. Eigene Arbeiten stellte Hoff unter anderem im Kunstraum VI, VII in Oslo, im IMO in Kopenhagen, im Air De Paris in Paris oder bei Printed Matter in New York aus.

5 Sauna Fauna – Je Suis Le Petit Chevalier

Das elektroakustische Stück «Sauna Fauna» von Je Suis Le Petit Chevalier wurde im August 2012 in Hyrysalmi, im Norden Finnlands während eines Atelieraufenthaltes in Mustarinda aufgenommen. Drones und Rhythmen evozieren die dortige Natur und Saunen in alten Blockhütten.

Je Suis Le Petit Chevalier ist eine musikalische Phantasie von Félicia Atkinson (*1981), geboren in einem Wohnwagen am Rand der Wälder von Upstate New York im Sommer 2010. Atkinson ist bildende Künstlerin und Musikerin. Sie studierte an der École nationale supérieure des beaux-arts in Paris. Atkinson beteiligte sich an verschiedenen Ausstellungen unter anderem im MSK in Gent, im Palais de Tokyo in Paris, im MCA Chicago, im Centre Pompidou in Paris, im Synchronity Space in Los Angeles oder im Hugenottenhaus in Kassel. Seit 2008 lebt sie in Brüssel, wo sie, gemeinsam mit ihrem Partner, auch den Kunstbuch- und Musikverlag Shelter Press betreibt.

6 Automatic Re:Fabulous – Lauris Paulus

Das konkrete Poem «Automatic Re:Fabulous» von Lauris Paulus oszilliert zwischen der Appropriation von vorgefundenem Material und der Selbstbeobachtung eines Subjekts, das einer Erinnerung nachspürt von der man nicht weiss, ob sie auf persönlicher Erfahrung beruht oder rein virtuell hervorgerufen wurde. In seiner kombinatorischen Form verbindet sich esoterische Geheimwissenschaft mit moderner Kryptologie. Als Versuch einer Aktualisierung der Arbeiten Stéphane Mallarmés sucht «Automatic Re:Fabulous» nach der mysteriösen Balance zwischen der Geometrie und ihrer kosmologischen Symbolik, dem quasi-fetischhaften Charakter von Schriftzeichen und der Beständigkeit des Sinnes von Wörtern. Die mit einer computergenerierten Stimme automatisierte Lesung des Poems problematisiert die Spaltung zwischen dem durch die Stimme repräsentierten Subjekt und der rechnerischer Kalkulation der kybernetischen Maschine.

Lauris Paulus (*1975) ist Künstler und Kurator. Er lebt und arbeitet in Fribourg. Von 2010-2012 war er Co-Kurator von Fluck|Paulus. Auf April 2013 ist ein neuer Kunstort geplant. Als Künstler beteiligte er sich u.a. an den folgenden Ausstellungen: «Bureau for Art Nerds», Istituto Svizzero, Milano; «PAL IN GENESIE», EAC, Porrentruy. «A All I Usurp Us», L’OV/CAN, Neuchâtel. Aktuell stellt er in der Galerie Milieu in Bern aus. Die Ausstellung mit dem Titel «Anciennes méthodes» ist noch bis zum 9. Februar 2013 zu sehen.

7 encounter – Push Comes To Love von Stephen Prina

Im Sendegefäss «encounter» stellt Valentina Stieger das Musikalbum «Push Comes To Love» des als Konzeptkünstler bekannten Stephen Prina vor, der auch zeitweise Mitglied der Band The Red Krayola war. Das 1999 auf Drag City erschienene «Push Comes To Love» ist Prinas Solo-Debüt. Es entstand in Kollaboration mit Jim OʼRourke, David Grubbs und Sam Prekop von The Sea and Cake.

Valentina Stieger (*1980) ist Künstlerin und Co-Kuratorin von radio arthur. Im Gefäss «encounter» stellt sie künstlerische Arbeiten vor, die in auditiver Form vorliegen. Die Spannweite reicht von Gesprächen und Interviews zu Arbeiten an der Schnittstelle von Musik und Kunst.

8 a of a – Jue Löffelholz

«a of a» ist die Aufnahme mechanischer Schwingungen, die ein Tonabnehmer im 400-maligen Umlauf in der auf die Schallplatteneinspielung «A Book of a Book» von José Luis Castillejo folgenden Endlosrille erzeugt. Die Original-Einspielung von 1998 gibt das Geräusch wieder, das Castillejo durch Umblättern einzelner Seiten seines 1977 veröffentlichten Buches erzeugte, einem Buch, das aus 400 fotografierten Leerseiten besteht. Castillejos Anliegen, einer unbeschreibbaren Erfahrung Ausdruck verleihen zu wollen, indem er die wortwörtliche Leere der Seiten in den bedeutungslosen Freiraum eines Geräusches transformierte, wird mit «a of a» im Schnitt eines stummen Audio-Signals in eine in sich selbst zurücklaufende Bewegung als Wiedergabe eines nur scheinbar geschlossenen Kreises fortgeführt.
Toningenieur und Produzent: Marc Haub, Assistenz: Miguel Ayala

Jue Löffelholz (*1962) ist Künstler und lebt in Frankfurt am Main. Er arbeitet bevorzugt mit Seh- und Hörresten in ihren jeweiligen Gegenübersetzungen hin zu einer Poesie des Beinahe-Nichts. Dafür verwendet Löffelholz unter anderem ein von ihm selbst entwickeltes optomechanisches Abtastverfahren, mit dem eingelesene Daten in Audio-Signale umgewandelt werden können. Neben Lesungen und Performances veröffentlichte er mehrere Künstlerbücher, unter anderem «Comment ne pas réellement parler, «The vex Chumps quickly In», «m c v», «merzhero Inframince» und «kunstfern» (in Vorbereitung).

9 conversation pieces – Romy Rüegger & Karen Geyer

Im Sendegefäss «conversation pieces» führt Romy Rüegger ein Gespräch mit der Künstlerin und Musikerin Karen Geyer in deren Atelier in der Roten Fabrik in Zürich. Das Gespräch bewegt sich entlang von Arbeiten, die Karen Geyer in ihrem Atelier aufbewahrt oder für anstehende Ausstellungen erprobt. Gefragt wird nach den Verbindungen von räumlichen Soundarbeiten, Performances, Konzerten und der Aufnahme von Gesprächen in der Praxis der Künstlerin.

Romy Rüegger (*1983) ist Künstlerin. Sie ist Autorin von experimentellen Audiostücken, welche sie im Radio, als Vortrag, Lesung oder Live-Performance zur Aufführung bringt. «conversation pieces» ist eine Fortführung ihrer künstlerischen Recherche und Praxis zu experimentellen Gesprächsformaten. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Frage nach dem Verhältnis von Werk und auditiver Dokumentation.

Karen Geyer (*1976) ist Künstlerin, Performerin und Musikerin. Sie lebt in Zürich und New York. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen Soundobjekte. Daneben sammelt Geyer unter anderem Gesprächsaufnahmen für ein persönliches Oral-History-Archiv. Dieses Material verwendet sie auch für Soundinstallationen, Performances und Radiosendungen. Zur Zeit arbeitet sie an der Einzelausstellung «Grautonorchester, eine Klanglandschaft», die am 9. Februar 2013 in der Kunsthalle Wilhlemshaven eröffnet wird. Am Entstehen ist des weiteren eine Arbeit in Kollaboration mit dem Hörspielarchiv des Radio DRS in Zürich.

10 Piano Phase – Steve Reich

Das 1967 entstandene Stück «Piano Phase» des Komponisten Steve Reich ist ein Klassiker der Minimal Music. Wie seine früheren Tonbandkompositionen «It’s Gonna Rain» and «Come Out» arbeitet Reich bei diesem Stück mit Effekten der Phasenverschiebung. Bei «Piano Phase» sind es zwei menschliche Musiker/innen die gemeinsam eine sich wiederholende Tonfolge in leicht abweichendem Tempo spielen. Das erste Klavier beginnt mit einem zwölf Töne umfassenden Pattern, woraufhin sich das zweite langsam einblendet. Kurz danach beschleunigt das zweite Klavier ganz behutsam, während das erste das Tempo beibehält, bis schliesslich sein/e Partner/in eine sechzehntel Note voraus ist und ab hier wieder das Tempo hält, um den neuen Klang zu etablieren.
Die vorliegende Aufnahme wurde von den beiden Pianistinnen Farištamo Susi und Judith Wegmann exklusiv für radio arthur eingespielt.

Steve Reich (*1936) lebt in New York. Nach einem Studium der Philosophie an der Cornell University in Ithaca studierte er an der Julliard School in New York und am Mills College in Oakland Komposition. 1962 begann sich Reich am San Francisco Tape Music Center intensiv mit Tonbandmusik zu beschäftigen. 1966 gründete er in New York sein eigenes Ensemble. Seit Mitte der 1970er Jahre ist Reich international einem breiten Publikum bekannt.

Judith Wegmann (*1975) lebt und arbeitet in Biel und Zug. Sie studierte klassische Musik bei Karl-Andreas Kolly, Tobias Schabenberger, Gerardo Vila und Gilles Landini. Solistisch war sie als Pianistin zuletzt in der Tournee «Schwarzenberg» engagiert, einer Lesung von Arno Camenisch zu Musik von Werner Bärtschi und Johann Sebastian Bach. Mit dem Dichter Alexandre Caldara trat sie an der CIA in Paris und am Other-Jazz-Festival in Neuchâtel auf. Zur Zeit studiert sie an der Basler Hochschule für Musik freie Improvisation. Wegmann war 2011 Preisträgerin eines Förderbeitrages des Kantons Zug.

Farištamo Susi (*1985) studierte Musik bei Walter Blankenheim, Aaron Schorr, Vera Gornostajeva, Arbo Valdma, Hui-Ying Liu Tawastjerna, Juri Kalnciems und Jerzy Maciejewski in Duschambe, Tadschikistan. An der Estnischen Musikakademie in Talinn setzte sie sich intensiv mit Kammermusik, Begleitung, Improvisation und Dirigieren auseinander. Zur Zeit studiert sie an der Hochschule für Musik in Basel.